Verlassen Ärztinnen die Schulmedizin aus Angst?
Ärztin auf Klinikflur mit Stethoskop in der Hand

Ich habe mich in einem anderen Blogartikel bereits mit Ängsten bei Ärztinnen befasst. Hier möchte ich aber besonders auf einen Aspekt eingehen, der mir wirklich am Herzen liegt:

Verlassen Ärztinnen das System aus Angst?

 

Ärztinnen haben Angst. Alle. Punkt.

Vor neuen Aufgaben, vor Diensten, vor Vorgesetzen, vor Fehlern, vor Scham, vor Versagen, vor Kritik, vor zu viel Arbeit, vor Überforderung…

Ich selbst kann ein Lied davon singen.

Ängste gehören dazu. Zu unserem Job, zu unserem Leben. Wir werden nie alle Ängste loswerden. Und das ist auch gut so, denn

Angst schützt uns und Angst treibt uns an.

Ich habe in meiner Laufbahn immer wieder Kolleginnen erlebt, die sich schwerer taten mit ihren Ängsten. Es gab Diskussionen, warum sie so schnell Dienste machen mussten, sie baten häufig um Hilfe oder Unterstützung in speziellen Situationen, sie vermieden bestimmte Tätigkeiten, sie riefen im Dienst häufiger den Hintergrund als andere.

Im Großen und Ganzen waren es aber immer gewisse Phasen, die irgendwann vorbei waren. Und aus den meisten wurden tolle Ärztinnen, die inzwischen gern und souverän ihren Job machen.

Ich habe auch Kolleginnen erlebt, die aus der Anästhesie in – sagen wir – etwas weniger aufregende Fachbereiche gewechselt haben, weil sie mit den immer wieder aufkommenden Momenten des Thrills nicht zurechtkamen.

Auch mir selbst ist das Thema „Angst im Job“ nicht fremd. Die ersten Dienste in einer neuen Abteilung waren genauso ein Herausforderung wie jede neu erlernte Tätigkeit.

Was mir tatsächlich erst vor kurzem bewusst geworden ist, ist die Tatsache, dass es nicht wenige Ärztinnen gibt, die aufgrund auftretender Ängste das medizinische System oder zumindest das schulmedizinische System verlassen.

Ärztinnen verlassen das schulmedizinische System aufgrund von Ängsten.

Bisher dachte ich immer, dass es darum geht, dass sie sich nicht mit dem Druck oder den Anforderungen des Gesundheitssystems anfreunden können, den Reglementierungen, den Folgen des Personalmangels u.s.w. entfliehen. Wer könnte es ihnen auch verübeln?

Mir war jedoch nicht bewusst, dass auch hier häufig unüberwindbare Ängste die Ursache sind oder zumindest eine große Rolle spielen.

Natürlich kann man jetzt sagen, dass eine neue berufliche Orientierung dafür eine Lösung ist. Ist es auch. Vielleicht kann man es sogar in höherem Sinne so werten, dass es aus einem guten Grund geschieht.

Wenn ich an die Kolleginnen denke, die sich irgendwann ihren Ängsten gestellt haben, dann darf uns vielleicht die Zeit leid tun, in denen sie sich unwohl gefühlt haben. Vielleicht darf ich mich als Kollegin auch fragen, ob ich besser hätte unterstützen können…darauf gehe ich aber noch ein. Letztlich sind diese Ärztinnen an den schwierigen Situationen gewachsen.

Worüber ich mir aber mehr Gedanken mache, sind die Kolleginnen, die ihren Ängsten entfliehen müssen, weil sie keine andere Option sehen.

Ich frage mich…wieviel Schmerz das macht. Wie groß ist die wahre Enttäuschung, wenn du einsehen musst, dass du den geplanten Weg nicht schaffst? Wie fühlst du dich? Kannst du drüberstehen oder ist es für dich ein Versagen?

Ist eine Flucht die Lösung?

Und dazu kommt die Frage, ob die Flucht wirklich die Lösung ist. Ängste gehen bekanntlich nicht weg, wenn man vor ihnen davonläuft. Kommen sie dann nicht an anderer Stelle in anderem Kontext wieder? Ist es nicht nur eine Verschiebung?

Und welche Kollateralschäden tauchen auf? Kommt es zu Neid oder Wut denen gegenüber, die den Weg weiter gegangen sind? Welches Selbstbild entsteht?

Das sind alles meine Gedanken dazu. Die Antworten kenne ich nicht.

Ich finde es schade. Für jede dieser Frauen, aber auch für das System. Hoch motivierte, gut ausgebildete, für die Schulmedizin brennende Ärztinnen gehen.

 

Nun kommt natürlich die Frage auf…was kann man tun?

Was können Kolleg*innen tun?

Als Kollegin kannst du den Raum bieten. Ängste werden bereits geringer, wenn sie ausgesprochen werden. Also sprich die Betroffene ruhig direkt darauf an. Biete Unterstützung, die Sicherheit gibt, ohne die Aufgabe abzunehmen. Im Zweifelsfall, ermutige sie, sich professionelle Hilfe zu suchen.

Was kann das System tun?

Ich glaube, hier geht es vor allem um Verständnis. Wichtig ist ein vertrauensvolles Umfeld, ein gutes Fehlermanagement, ein offenes Ohr. Dazu kommen Strukturen, die Sicherheit schaffen. Klare Regelungen, gute Aus- und Weiterbildung und eine souveräne Führung. Was es nicht braucht, sind blöde Kommentare und Vergleiche mit den top-performern.

Und dann kommt natürlich zuletzt die Frage:

Was können die Ärztinnen selbst tun?…sofern sie es wollen.

Hier geht es vor allem darum, als erstes die Ängste anzunehmen. Es geht um die Akzeptanz der Angst, sie wahrzunehmen, sie zuzulassen und zu spüren. Es geht um die körperliche Empfindung, denn Ängste machen bekanntlich eine körperliche Reaktion.

Letztendlich handelt es sich auch hier um einen Stress-Zyklus, der begonnen wird. Und wie bei Stress an sich werden Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. In der Folge spüren wir das Herzklopfen,  Palpitationen, feuchte Hände und vielleicht die erhöhte Atemfrequenz.

Wir haben alle ein Körpergefühl in der Angst, auch wenn es vielleicht nicht jedem sofort bewusst ist, wo es steckt.

Oft haben wir diesen Kloß im Hals, ein Engegefühl oder Druck auf der Brust. Viele spüren die Angst auch in der Magengegend wie eine Faust im Magen oder eine Schwere im Bauch. Das sind alles Körpergefühle, die wir eher als unangenehm empfinden und lieber vermeiden würden. Um aber zu lernen, mit unseren Ängsten umzugehen, ist es sehr wichtig, diese Gefühle wirklich zuzulassen und sie auch mal auszuhalten, sie nicht zu verdrängen, sondern wirklich im Gefühl zu bleiben.

Um uns das Gefühl der Angst erträglicher zu machen, können wir verschiedene Techniken verwenden.

Ein Tool – das Optimalste schlechthin, weil es ist immer dabei ist – ist die Atmung. So banal sich das auch anhört, aber es ist enorm hilfreich, wenn du dich in den Momenten der Angst wirklich auf die Atmung konzentrierst. Dafür gibt es viele verschiedene Möglichkeiten:

Du kannst Seven-Eleven machen, also auf 7 zählen beim Einatmen und auf 11 beim Ausatmen.

Du kannst „im Quadrat atmen„, also auf 4 zählen beim Einatmen, 4 Pause, 4 ausatmen, 4 Pause.

Du kannst die sogenannte Resonanzatmung nutzen: 5 Sekunden ein-, 5 Sekunden ausatmen. Bei dieser Form wird unser Vagusnerv besonders stimuliert.

Es gibt noch viele andere Techniken, um diesen Moment der Angst körperlich auszuhalten, ihn nicht wegzuschieben und nicht wegzurennen. Unterdrückst du sie, läufst du Gefahr, dass sie steckenbleibt und sich an anderer Stelle in anderer Form wieder zeigt.

Es gibt viele weitere Möglichkeiten, um mit der Angst besser umgehen zu können:

Allein das Aussprechen der Angst hilft bereits. Wenn du dir sagst: „Ich habe Angst vor diesen Dienst.“, sinkt der Stresspegel bereits.

Eine andere Möglichkeit ist, die Qualität des Gefühls zu ändern. Je nachdem mit welchen Sinnen (sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken) du hauptsächlich arbeitest, kannst du beobachten ob das Gefühl, das du wahrnimmst, zum Beispiel eine Farbe hat oder eine bestimmte Oberflächenbeschaffenheit.

Wie groß ist es?

Wie schwer?

Welche Farbe hat es?

Welche Temperatur?

Ist es glatt, trocken?

Du kannst es gedanklich mal aus deinem Körper herausholen, in deine Hand legen und dir genau anschauen, wie es aussieht.

Dann kannst du die Beschaffenheit verändern:

Du kannst es kleiner machen oder grösser, leichter oder schwerer, die Farbe ändern, die Temperatur. Vielleicht hat es sich vorher bewegt, dann bringst du es jetzt zur Ruhe, vielleicht war es vorher sehr ruhig und du lässt es jetzt hüpfen. Vielleicht änderst du seine Melodie… Je mehr du es veränderst, desto mehr wirst du merken, wie sich auch dein Körpergefühl verändert.

Zum Schluss kannst du es wieder in dich hineinsetzen und nachspüren, was passiert ist. Es ist erstaunlich, wieviel diese Methode helfen kann.

Wie du siehst, gibt es viele Möglichkeiten, um die Momente der akuten Angst etwas abzuschwächen und sie erträglicher zu machen.

Es wird immer Ängste geben.

Wir können die Ängste allerdings so beeinflussen, dass sie uns nicht mehr blockieren. Wir können aus dysfunktionalen Ängsten, also überschießenden Ängsten, die sich uns wie Steine oder Mauern in den Weg stellen, funktionale Ängste, also schützende Ängste, machen.

In manchen Dingen gelingt uns das recht einfach, indem wir sie -wie gesagt- nur wahrnehmen und beobachten. Manchmal stecken hinter unseren Ängsten aber auch ganz alte Ängste, die quasi in unserem Gehirn gebahnt sind aufgrund von Erfahrungen in unserer Kindheit. Manchmal sind es auch gar nicht unsere Ängste, manchmal sind es die Ängste zum Beispiel unserer Eltern, die wir als Kind beobachtet und durch unsere Spiegelneuronen selbst miterlebt haben. Wir haben sie abgespeichert, als hätten wir sie selbst erlebt. Wenn wir nun Erlebnisse haben, die uns an ähnliche Situationen erinnern, kann es sein, dass wir die Angst von damals fühlen. Und so ist es manchmal gar nicht so einfach zu verstehen, woher diese große Angst plötzlich kommt, die der aktuellen Situation vielleicht gar nicht angemessen ist.

Oft stecken hinter unseren Ängsten auch wieder andere Ängste. Oft geht es steckt hinter der Angst um Scham oder um die Angst vor Ablehnung, die Angst zu versagen, Fehler zu machen… Hier lohnt es sich meist, genauer hinzuschauen und zu hinterfragen, woher diese Emotionen kommen.

Ängste haben immer auch etwas mit deiner Resilienz zu tun.

Geht es dir insgesamt gut, kannst du viel mehr aushalten. Dann kannst du vielleicht eine Angst auch mal weglächeln oder du hast die Kraft ,sie auszuhalten.

Bist du hingegen sowieso schon am Limit deiner Kapazitäten, hast du keine Energie mehr, um dich dagegen zu stellen. Ein ganz wichtiger Punkt ist demnach, dass du auf dein Wohlbefinden achtest – Stichwort Selbstfürsorge – und deine Resilienz stärkst.

Sorge für ein Gefühl von Sicherheit und Entspannung!

Mental kannst du Ängsten entgegenwirken, indem du immer wieder für Sicherheit und Entspannung sorgst – und zwar gedanklich. Das geht zum Beispiel, indem du dich an Situationen aktiv erinnerst, in denen du dich sicher und entspannt gefühlt hast. Ich denke, solche Situationen wird es in deiner Vergangenheit geben. Hier geht es darum, daraus eine Gewohnheit zu machen, dich sicher zu fühlen. Das heißt, du versetzt dich immer wieder in diesen Zustand der Erinnerung. Nimm die Situation mit möglichst vielen Sinnen wahr! Vielleicht siehst du Bilder, vielleicht hörst du Töne. Und wahrscheinlich gibt es ein Körpergefühl dazu. Wichtig ist, dass du es regelmäßig (z.B. dreimal am Tag über 4 Wochen) machst, um in deinem Gehirn die Verschaltungen zu bahnen, die für Sicherheit sorgen und eben nicht die, die Angst generieren.

Wie du siehst, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, um den Ängsten tatsächlich den Kampf anzusagen. Wobei – wir wollen eigentlich nicht gegen sie kämpfen, sondern sie in den Arm nehmen und sie zu unserem Begleiter machen, zu einem erträglichen Alltagsbegleiter.

Die Mauern, die uns die Angst baut, können eingerissen werden.

Mir ist so wichtig, dass du als Ärztin das findest, was dir Freude macht. Ich wünsche mir, dass du das lebst, was dir Spaß macht. Ich denke, du hast Vorstellungen und Visionen gehabt, als du begonnen hast, Medizin zu studieren. Ich möchte so gerne vermeiden, dass diese Visionen durch die Angst verdeckt werden und du ihretwegen davon abrückst.

Wir brauchen diese Ärztinnen, die für ihren Job brennen, die glücklich sind, die Freude haben, die wirklich das Arztsein lieben. Darum würde ich mir wünschen dass du es schaffst, die Freundin deiner Ängste zu werden oder die Ängste zu deiner Freundin werden zu lassen.

 

Merkst du, dass dir deine Angst im Weg steht und du Unterstützung brauchst?

Dann melde dich gerne zu einem 1:1-Coaching.

Sei die Ärztin, die du immer sein wolltest!

❤️ Deine Susanne

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