„Die Schulmedizin hat versagt.“
Oder:
Hat dein Gärtner versagt, wenn er deine Wände schlecht gestrichen hat?
Der Satz „Die Schulmedizin hat versagt.“ ist mir in letzter Zeit in Blogartikeln, in Posts und in Gesprächen begegnet.
Dieser Satz macht mich betroffen. Es trifft mich wirklich. Am Anfang hat er Ärger ausgelöst, es ist aber wahrscheinlich eher eine Enttäuschung.
Ja, es gibt schlechte Mediziner (genau wie schlechte Gärtner und schlechte Fliesenleger)
Und ich habe großes Mitgefühl für die Menschen, die falsch behandelt wurden oder zusätzliches Leid durch schlechte medizinische Qualität oder fehlendes menschliches Verhalten erlebt haben.
Ja, unser medizinisches System hat viele Mängel – die ich selbst auch anprangere.
Und wer mich kennt, weiß, wie viel mir daran liegt, dass wir alle daran arbeiten, ein menschlicheres Gesundheitssystem zu schaffen.
Meine Vision ist ein Gesundheitssystem, das seinem Namen wirklich gerecht wird und gesund macht.
Gesund bedeutet nicht (nur) einen Knochen zu reparieren oder einen Blutdruck zu senken. Gesund bedeutet für mich auch, dem Körper die Chance zu geben, zu heilen – auf allen Ebenen. Und Gesundheit bedeutet, zu wissen, wie sich Gesundheit bewahren lässt.
Langer Rede kurzer Sinn, ich wünsche mir ein anderes Gesundheitssystem als das, was wir jetzt haben und da natürlich auch eine menschlichere, respektvollere, empathische Schulmedizin.
Und doch gibt es für mich auch eine andere Seite.
Wir haben hier in Deutschland eines der besten medizinischen Versorgungssysteme in Europa, von der Welt schon ganz abgesehen.
Ich bin seit über 20 Jahren unter anderem als Notärztin tätig. In diesem Bereich lassen sich sehr gut die teil stark überzogenen Erwartungen der Bevölkerung erkennen.
Was kann die Schulmedizin (oder klassische Medizin)?
- Sie kann viele körperliche Schäden erkennen (und oft auch erklären)
- Sie kann in vielen Fällen auf wissenschaftlich hohem Niveau „Schäden“ reparieren.
- Sie verwendet dabei häufig „(bio-)chemische Mittel“
Was wird aber oft erwartet?
Dass sie ALLES erklären kann.
Dass sie ALLES heilen kann.
Dass sie schnelle, einfache Lösungen bietet.
Dass der Arzt das Problem regelt, ohne dass der Patient selbst etwas dafür tun muss.
Dass der Arzt immer kompetent und empathisch ist, sich Zeit nimmt und viele tieferliegende Bedürfnisse wie Zuwendung, Fürsorge, Lösungen für Alltagsprobleme, psychologische Betreuung und soziale Tätigkeiten bietet. Und das, ganz egal, welchen Stress er hat, wie es ihm selbst gerade geht und welchen teils unverschämten, fordernden, anspruchsvollen Patienten er gegenübersteht.
Das KANN sie NICHT. (Zumindest sehr häufig nicht.)
Versteh mich nicht falsch. Wie ich oben schon gesagt habe, ich möchte als Ärztin empathisch sein, mir Zeit nehmen und dir Lösungen für deine Probleme bieten. Das ist mir ein Herzenswunsch.
Aber das gibt das System oft nicht her. Dazu fehlt 1. die Zeit, 2. das Geld und 3. sind nicht alle Menschen dazu fähig.
1. Wir haben einen Ärztemangel und einen Pflegenotstand.
Und auch in den anderen medizinischen Berufsgruppen ist der Mangel an Fachkräften eklatant. Die Folge ist eine Arbeitsverdichtung, Zeitmangel und in der Folge Stress. Dazu kommt, dass wir oft von anspruchsvollen Tätigkeiten mit hoher Verantwortung sprechen, die zusätzlichen Druck erzeugen.
Das Thema Stress durch Personalmangel ist nicht auf den medizinischen Bereich beschränkt. Also eigentlich dürften die meisten Menschen das Phänomen kennen. Und wer von uns ist immer freundlich, immer ruhig, immer entspannt, immer geduldig, immer freundlich und macht keinerlei Fehler, wenn er unter Druck steht?
Vom medizinischen Personal wird es erwartet.
Wer würde bei einem Piloten, dessen Co-Pilot gerade fehlt, weil er krank ist, und der im Unwetter landet, erwarten, dass er nebenbei eine freundliche Unterhaltung mit den Passagieren führt?
2. Mehr Geld wollen die meisten nicht zahlen.
Gesundheit soll kostenlos sein. Egal, wie das dann finanziert werden soll. Dass es in der Form nur funktioniert, weil viele Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten, sich völlig unter Wert verkaufen, ist vielen nicht bewusst oder auch egal.
Ich kenne so viele ganz wunderbare Ärztinnen und Ärzte, aber auch Pflegepersonal und andere, die ihre eigene Selbstfürsorge hintenanstellen, um zu geben. Nicht wenige gehen an ihrem Maß an Aufopferung kaputt.
3. Es gibt Ärzte, die sich tatsächlich schwer tun mit Empathie.
die kein Interesse an dem haben, was hinter deinem aktuellen Problem noch alles dahinterstecken könnte. Vielleicht haben sie Mitgefühl nie (kennen)gelernt. Möglicherweise sind es stattdessen hervorragende Operateure oder sie können die größten Heilerfolge durch manuelle Tätigkeiten erreichen. Muss ein Mensch immer alles können?
Ich möchte hier etwas richtigstellen:
Der Arzt ist nicht das Mädchen für alles, auch wenn sich viele ein Bein rausreißen, um das zu bieten.
Der klassische Arzt hat nicht die Zeit und oft nicht die Expertise, um die tiefe Wurzel der Erkrankung zu erkennen. Dazu gibt es beispielsweise die funktionelle Medizin.
Der klassische Arzt versucht (meist) nicht, möglichst Chemie-frei zu therapieren, weil es nicht sein Ansatz ist. Dazu gibt es unzählige alternativmedizinische Angebote.
Der klassische Arzt kann nicht deine Lebensgeschichte, vielleicht auch deine traumatischen Erfahrungen aufarbeiten und deine inneren Antreiber und Themen zum Schweigen bringen, um viele Krankheiten auf viel tieferen Ebenen zu erforschen und zu behandeln. Dazu gibt es Psychologen und Coaches.
Der klassische Arzt kann dir nicht auf Dauer deine Beschwerden wegnehmen, wenn sie Eigeninitiative erfordern. Dazu benötigt es Selbstwirksamkeit.
Der klassische Arzt kann nicht die Verantwortung für dich übernehmen. Dafür bist du selbst verantwortlich.
Ein Arzt kann nicht deine Familienkonstellation oder dein berufliches Umfeld ändern. Das ist DEINE Aufgabe.
Der klassische Arzt kann nicht alle Philosophien, Glaubensansätze und Heilmethoden teilen. Dazu gibt es Menschen, die genau das anbieten.
Gehst du zu einem Gärtner, wenn du deine Wände streichen lassen willst?
Erwarte von einem Schulmediziner das, was ein Schulmediziner bieten kann!
Entscheide dich für die Schulmedizin, wenn du ihr vertraust und das suchst, wobei sie dir helfen kann.
Gehe woanders hin, wenn du etwas anderes suchst oder brauchst. Möglicherweise musst du dafür über deinen Schatten springen.
Patienten sind heutzutage so gut vorinformiert durch Google und Co., es dürfte fast jedem bekannt sein, dass es verschiedene Heilmethoden und verschiedene Ansätze gibt.
Wenn du Unterstützung haben möchtest, um ein anderes Leben zu führen, akzeptiere, dass es Zeit und Geld kostet und investiere in dich selbst! Entscheide du selbst, wieviel es dir wert ist, gesund zu sein.
Beginne damit, Selbstverantwortung zu übernehmen! DU bist der, der am allermeisten heilen kann.
- durch eine gesunde Lebensweise
- durch Selbstreflexion, ein Bewusstsein und eine Bereitschaft, etwas SELBST zu verändern.
- durch den Mut hinzuschauen und die Ehrlichkeit dir selbst gegenüber
Und wenn wirklich alle so handeln…
…wenn der Notarzt nicht mehr nachts wegen Druck auf den Nebenhöhlen gerufen wird, um eine Überweisung für die HNO auszustellen,
…wenn der Arzt nicht mehr um 11 Uhr abends jemanden mit Sonnenbrille gegenübersitzt, der nach dem zuende geschauten Fußballspiel in die Ambulanz kommt, weil er wegen Muskelkater vom 450€-Schneeschipp-Job eine Krankmeldung haben möchte,
…wenn der Rettungsdienst nicht mehr nachts die Oma in die Klinik bringen muss, weil die Versorgung zuhause seit Wochen nicht geregelt ist
…oder zu einer Party gerufen wird, auf der alle kräftig miteinander gebechert haben, aber keiner Lust hat, den, der jetzt kotzt, über Nacht zu betreuen…
…dann gibt es ein deutlich weniger überlastetes Gesundheitssystem. Dann können auch Schulmediziner sich länger als 7,5 min. mit einem Patienten beschäftigen. Dann werden nicht so viele hochmotivierte Mediziner aus Erschöpfung und Überforderung das System verlassen. Dann sind sie wahrscheinlich auch entspannter und empathischer.
Und dann versagt die Schulmedizin nicht mehr so oft.
Möchtest du selbstwirksam anders mit einer Erkrankung, mit Stress oder Ängsten umgehen?
Dann melde dich gerne zu einem 1:1-Coaching. Ich freue mich, wenn ich dich dabei unterstützen darf.
❤️ Deine Susanne
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